Wüste, süd-östlich von Kairo
Schweigen legt sich über unsere Tage. Ein stilles Wasser, das manchmal von einem geworfenen Stein in Unruhe versetzt wird. Doch was uns jetzt noch bleibt, ist Stille. Es ist eine seltsame Stille. Unterbrochen vom Pfeifen des Wüstenwindes und hie und da einem jähen Wortwechsel.
Noch merkwürdiger aber ist die Stille in meinem Kopf. Als säße man an einem schönen, sonnigen Tag in der Abgeschiedenheit des eigenen Gartens. Man glaubt es sei still. Doch tatsächlich ist man von einem dutzend kleiner Dinge umgeben. Da ist das Summen der Bienen. Das Rascheln einer Maus im Laub und das Flattern von Vogelflügeln. Egal wie leise die Welt zu sein scheint, sie ist doch nie vollkommen still.
Und während wir die Stadt, jede Menschenseele in schier endloser Entfernung hinter uns lassen, desto mehr verstummt mein innerer Garten.
Das Summen der Gedanken ist verstummt. Ich glaube nicht, dass mir bisher klar war wie selbstverständlich ich gelernt habe mich vor den Gedanken anderer zu verschließen. Erst jetzt da kaum noch andere Menschen um mich herum sind - nur eine handvoll Freunde - beginne ich es zu begreifen.
Das Schweigen zwischen uns ist wie die endlose Weite der Wüste, unterbrochen von wortgefüllten Oasen. Und doch bin ich mir der anderen um mich herum seltsam bewusst. Ich kann es nicht recht beschreiben. Wir schweigen uns an und in der Stille streckt mein Geist tastend seine Finger auf und horcht auf das Echo fremder Gedanken. Selbstverständlich bleibe ich für mich. Aber trotzdem glaube ich zu spüren wie leicht es wäre wenn ich dem Instinkt nachgeben und hier und jetzt meinem Verstand freien Lauf ließe.
Es sind keine einfachen Stunden die vergehen. Je weniger Ablenkung der Tag bringt, desto länger ist er. Je länger der Tag, desto eher drohe ich mich in eigenen dunklen Ahnungen zu verlieren.
Ich schiebe sie beiseite.
Entschlossen schiebe ich jede Vermutung darüber was uns erwarten könnte bei Seite um bei klarem Verstand zu bleiben. Also greife ich auf die Übungen aus den Büchern der Rosenkreuzer zurück.
Und während die Sonne uns allen auf die Köpfe prallt, höre ich es … das Summen der Gedanken ist wieder da, doch viel leiser als ich es in Erinnerung habe. Ein Lied das durch die Stille meines Geistes dringt. Erst sind es nur einzelne Töne, doch bald schon glaube ich Melodien zu erkennen. Farben und wieder Töne. Wir alle denken so schnell, dass es kaum möglich ist zu sagen wann ein Gedanke beginnt und der andere endet.
Ich lasse weder Worte noch Bilder zu und doch kann ich ein Muster vom anderen unterscheiden. Fünf Menschen sind in der Leere der Wüste versammelt. So unterschiedlich wie ihre Gedanken, die alle anders klingen.
Unwillkürlich kommen mir Worte des Buches wieder in den Sinn:
Wer von sich selbst gelöst ist, begreift das Fremde. Wer das Fremde begreift, versteht es. Wer es versteht, kann es berühren. Wer die Fessel der eigenen Gedanken abstreift, dessen Willen ist stärker. Weiter und weiter zieht sich der Sand. Und während ich nichts habe als meinen Geist um mich abzulenken, beginne ich zu begreifen, was es heißt sich von sich selbst zu lösen.
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In den Dünen jenseits der Ruinen
Ungeduldig gehe ich hinter dem Reverend auf und ab. So ist die Kälte wenigstens ein wenig leichter zu ertragen. Aber schlimmer als der Nachtfrost ist es zur Untätigkeit verdammt worden zu sein. Seine Lordschaft hat sich eben schlafen gelegt und so bleiben nur Danforth und ich zurück.
Der Reverend hat keine aufmunternden Worte für mich übrig, nur grimmige Entschlossenheit. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Immer wieder bleibe ich auf einer der Dünen stehen und spähe im Schutze der Dunkelheit zu den Ruinen hinüber. Alles in mir will aufbrechen - sofort - alleine wenn es denn nötig sein sollte um selbst an diesen seltsamen Ort zu gelangen und nach David zu suchen.
Dieses eine Mal bereue ich es schon fast, dass ich mir selbst nicht nachgegeben habe. Denn auch wenn ich weiß, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, fühlt es sich furchtbar falsch an zurückgeblieben zu sein.
Während die Nacht dem Morgen entgegen kriecht, nehme ich die eine oder andere Tasse Tee vom Reverend entgegen. Im Schein des Feuer kann ich mein Spiegelbild auf der metallischen Kanne erhaschen. Kurzes kastanienbraunes Haar, ein sonnenverbranntes Gesicht und müde graue Augen. Ich schaue auf mein Gesicht und sehe Hoffnung und Verzweiflung gleichermaßen in meinem Blick.
Entschlossen stehe ich auf und gehe zurück zum Ort meiner stummen Wacht. Wenigstens, denke ich, wenigstens wird es bald vorbei sein.
Ich schaue zu den Ruinen, die nur schwach erleuchtet sind. Frage mich wo David sein mag und als ich diesen Gedanken zu lasse, schließt sich die Hand fest um meinen Ring.
Ich werde diesen verfluchten Ort nicht ohne ihn verlassen.
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In den Ruinen
Als die Schüsse durch die Ruine schallen, richte ich mich ohne es zu wollen auf. Ich starre auf den Punkt an dem ich Moseley zuletzt gesehen habe. Aber er war so rasch auf den Pfoten. Wieder fallen Schüsse und jetzt habe ich die Geistesgegenwart mich stattdessen flach aufs Dach fallen zu lassen.
Ich zwinge mich dazu liegen zu bleiben, während ich in der Ferne Bewegung in den Gassen höre. Männer die auf arabische harsche Worte wechseln.
Mein Herz schlägt jetzt so schnell, dass ich das Gefühl habe jeder kann es hören. Dieses Auf und Ab in meiner Brust.
Und es ist heiß. Auf dem Dach ist es so unerträglich heiß. Zum Glück habe ich einen Leinenschal vor dem Gesicht. So atme ich den Staub des Daches wenigstens nicht ein während ich mit dem Gesicht im Dreck liegen bleibe. Immernoch schlägt mein Herz schrecklich schnell und mein Atem geht unregelmäßig. Ich habe Angst. Angst mich zu bewegen, Angst vor dem was jetzt geschehen wird.
Aber die Welt hält nicht an. In der Ferne sind wieder fremde Stimmen zu hören. Also schließe ich die Augen, ein stummes Gebet auf den Lippen und richte mich ein wenig auf.
Vorsichtig krieche ich bis zu der kleinen Lücke in der Mauer und spähe so verborgen durch die Gassen. Unter mir im Haus regt sich etwas und kurz darauf höre ich Abby, wie sie sich schwer atmend hinter mir auf das Dach zieht.
Gerade als ich ihr berichten will was geschehen ist, bemerken wir den Mann mit der tintenen Schlange die sich an seinem Hals entlang frisst. Er ist jung … so jung … zu jung um an einem Ort wie diesen zu sein und mit einer Waffe in der Hand suchend durch die Gassen zu streifen.
Ich schließe die Augen.
Wenn er doch vorbeigehen würde. Oh Gott, wenn er uns nur nicht findet. Wenn er einfach nur vorbeigehen würde. Als ich wieder hinsehen kann, ist er nur noch wenige Schritte von unserem Haus entfernt. Ich schaue zu Abby, die neben mir liegt. Wenn er Alarm schlägt ist es um uns alle Geschehen.
Ohne viel nachzudenken, hebe ich die rechte Hand an die Schläfe. Ich muss ihn ja nur ein wenig verwirren, etwas ablenken. Vielleicht wird er uns dann nicht bemerken. Wenn ich ihn verwirre, wird er vielleicht nicht nach oben schauen oder in das Haus sehen.
Nicht nach oben schauen. Einfach nur nicht nach oben schauen.Es ist mein Gedanke. Es ist der einzige Gedanken für den Platz bleibt und plötzlich ist mir, als würde mein Kopf grob unter eiskaltes Wasser getaucht werden.
Ich stehe in der Gasse und starre auf meine Füße. Die Waffe ist schwer in meinem Arm, so furchtbar schwer. Ich tauche wieder auf, schnappe nach Luft wie ein Ertrinkenden. Doch es bleibt kaum Zeit.
Ich gehe weiter. Er geht weiter.
Ich sehe alles, nur nicht dass, was ich nicht sehen soll. Er sieht uns nicht. Während ich begreife, weiten sich meine Augen voller Angst. Aber ich spüre sie kaum. Stattdessen gleiten meine Finger über den Simms und zeichnen einen Weg und der Mann bewegt sich in abstruser Harmonie zu meinen Gedanken. Ich schaue ihm nach und erst als er verschwunden ist, als wir in Sicherheit sind, löse ich meinen Griff um seinen Geist.
Und im selben Moment als ich wieder ganz und gar ich selbst bin, spüre ich wie sich die Angst mit kalten Fingern um mich schließt und mir die Luft zum Atmen sieht. Ich schaue zu Abby und mir wird eisig.