Anfang Dezember 1895
Seit gestern Abend sind wir wieder in London. Aber das heißt leider nicht, dass es ein wenig ruhiger zugeht als sonst. Dabei könnte ich ein paar Tage Ruhe gut gebrauchen. Wenn all das vorbei ist … wenn es irgendwann endlich vorbei sein sollte … dann werde ich vermutlich ein Jahr durchschlafen. Aber einstweilen ist daran einfach nicht zu denken.
Abbygale hat sich auf einige der Bücher aus der Bibliothek von Alexandria gestützt. Aber auch sie kann das geheimnisvolle Buch mit den Goldplatten nicht übersetzen. Eigentlich wollten wir den Professor wieder um Hilfe bitten. Aber nun haben wir uns für Miss D’Melune entschieden. Auch wenn ich nicht darauf aus bin die Bekanntschaft mit dieser Frau zu vertiefen, bin ich trotzdem mit der Lösung zufrieden. Ich hätte es nur schwer mit meinem Gewissen vereinbaren können diesen unschuldigen Mann noch tiefer in unsere Angelegenheiten hineinzuziehen.
Das Buch wird vorerst in der Villa Van Helsing aufbewahrt werden wo sowohl Mrs Harkers Sicherheitsvorkehrungen als auch Mosley ein wachsames Auge darauf haben werden. Wenigstens wissen wir jetzt wie es heißt: “Über die Schöpfung des Re und die Bezwingung des Apophis”. Beruhigend klingt das nicht.
22. Dezember 1895
Man sollte dieses Buch das Abbygale gefunden hat vielleicht wirklich am besten verbrennen. Was kann gut an einem Zauber sein, der die Toten aus ihrer Ruhe reißt. Wenn sie denn überhaupt Ruhe gefunden haben.
Es war … furchtbar. Hoffentlich muss ich das nie wieder tun.
24. Dezember 1895
Weihnachten steht vor der Tür. Jeder scheint hier heute seinen eigenen Gedanken nach zu hängen. Mr Mosley wird abends wenigstens für einige Stunden herüber kommen und es wird ein gemeinsames Essen geben. Mir ist nicht danach mit vielen Menschen beisammen zu sitzen. Tatsächlich wäre ich gerade am liebsten für mich allein.
Ich muss an das letzte Weihnachten denken. David war seit beinahe acht Woche verschwunden und das Haus war so furchtbar leer. Am Weihnachtsmorgen habe ich es nicht mehr ausgehalten und habe angefangen alles zu durchsuchen und auf den Kopf zu stellen. Meine Erinnerung an diese Tage ist so gestochen scharf, als wäre es erst gestern passiert.
Und jetzt ist alles anders. Was war das für ein Jahr? Was ist alles passiert?
Gerade heute sitze ich also in unserem Zimmer, starre aus dem Fenster und denke darüber nach was vor einem Jahr war und was jetzt ist. Heute ist David wieder da. Er ist gesund und kann wieder lachen. Er kann eine Zukunft sehen und versucht mit dem was war abzuschließen. Wenn ich an diese erste Wochen im September denke … an all die Nächte in denen er schweißnass aus Alpträume hoch schreckte und dachte, er hätte es gar nicht verdient am Leben zu sein.
Ein Jahr. Dabei kommt es mir vor als wären es zehn gewesen.
27. Dezember 1895
Das Buch ist übersetzt. Ein Sammelsorium von Zaubern, Ritualen und im Mittelpunkt die Legende der ägyptischen Götter Apophis und Re. Apophis, ein Wesen der Dunkelheit und des Chaos, das dieser verdammte Kult anbetet und zu befreien sucht. Eine im Sand versunkene Stadt. Wenigstens wissen wir jetzt wonach diese Kultisten in Ägypten gesucht haben und weshalb sie die Obelisken zerstören. Denn der Legende nach wurde Apophis durch diese Obelisken gebunden und sollten die Siegel fallen, kann er aus seinem Gefängnis entkommen.
Das erklärt einiges. Aber eine Lösung ist natürlich nicht in Sicht. Denn auch wenn wir wissen, was diese Kultisten vorhaben … was können wir schon dagegen tun? Was haben wir mit diesem Buch wirklich gewonnen?
Eine Stadt in der Wüste von der wir nicht wissen wo sie ist.
Ein Feind der uns zahlenmäßig überlegen ist.
Was soll daraus nur werden? Gottvertrauen ist eine Sache, blind in sein eigenes Verderben laufen eine ganz andere. Und wenn wir nicht bald eine Idee haben, dann wird es genau das sein was uns in der Wüste erwartet.
28. Dezember 1895
Wie konnten wir nur so verdammt dumm sein? Und es ist meine Schuld. Im Grunde bin ich an allem Schuld.
29. Dezemeber 1895
Wir leben noch. Ist das zu glauben? Ich glaube, jeder von uns war auf seine Art darauf vorbereitet gestern nach aus dem Hyde Park nicht zurück zu kehren.
Aber zurück zum Anfang. Ich muss meine Gedanken ordnen, denn seit gestern ist mir als sei ein Sturm durch meinen Kopf gewirbelt und hat nichts übrig gelassen als ein heilloses Durcheinander. Was ist richtig und was ist falsch? Wem kann man überhaupt noch trauen und wem nicht? Vielleicht ist es naiv, vielleicht ist es auch dumm, aber trotz allem was gestern geschehen ist, vertraue ich ihnen allen noch.
Dem Reverend, Abby und Mr. Mosley.
Dabei haben wir gestern doch gesehen wie leicht einer von uns unter einen Bann geraten kann und seine Freunde verrät ohne zu wissen was er tut; so wie Fitzgerald. Was für eine Welt ist das in der das Gute das man tun will einen verfolgt?
Ich mache mir furchtbare Vorwürfe was den Jungen angeht. Immerhin war ich es, die ihn in all das hineingezogen hat. Dass ich es nur gut meinte und ihm ein anderes Leben ermöglichen wollte, ist da nur ein schwacher Trost. Es ist meine Schuld. Alles was mit ihm passiert ist, ist eigentlich meine Schuld. Dieses Gefühl lässt mich einfach nicht los.
Und dass ich nicht daran gedacht habe nach Rom, nach allem was ich dort gesehen habe, unsere eigenen Leute zu überprüfen, macht es nur schlimmer. Vielleicht hätte man es verhindern können.
Vielleicht.
Wenn.
Aber.
Es ist müßig dem nach zu hängen, aber ich kann einfach nicht anders.
Im ganzen Haus herrscht eine eigenartige Stille, denn jeder hängt irgendwie seinen Gedanken nach. Jeder versucht in dem Durcheinander einen Weg zu finden der richtig ist. Und während ich versuche zu entscheiden was ich als richtig empfinde, muss ich immer wieder daran denken was David gestern gesagt hat. “Ich traue diesen Kreaturen nicht soweit ich sie werfen kann.” Aber auch, “Was ist wenn wir das Angebot ausschlagen und am Ende gibt es keine Welt mehr die wir gegen unseren Feind verteidigen können?”
Alles was am Ende bleibt ist eine Frage: Beharren wir auf unsere Prinzipien oder nutzen wir eine Chance die vielleicht, nur vielleicht das Blatt für uns alle wendet?
Ich weiß, welchen Weg ich wählen würde. Aber ich bezweifle, dass es alle so sehen werden. Der Reverend ist nur die geringste meiner Sorgen. Wenn er sich überzeugen lässt dann bleibt immer noch Mina Harker. Ohne sie ist all das vergebens. Denn was können wir schon ausrichten? Wir sind fünf Menschen. Wir brauchen Mrs Harkers Einfluss. Aber allein der Gedanke ihr vorzuschlagen sich mit den Kreaturen zu verbünden die ihren Mann ermordet haben, bereitet mir Übelkeit. Wenn ich an ihrer Stelle wäre … was soll ich sagen … ich könnte das niemals. Hoffentlich ist sie ein stärkerer Mensch als ich.
Und hoffentlich - hoffentlich - tun wir das Richtige.